Der grindige Sepp

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Manchmal, wenn man auf einer Wanderung durch die österreichischen Alpen Rast macht, nähert sich einem ein schüchterner Mann mit Bergschuhen und Rucksack, und einem seltsamen Overall angetan, einer Art Wanderpyjama, und erkundigt sich nach dem Weg. In der Hand hält er ein Tourenbuch, und er fragt immer nach den Namen der umliegenden Gipfel, und ob dort und dort auch ein Gipfelbuch ist und ob’s da einen Stempel gibt. Und dann erzählt er einem, daß er alle Österreichischen Weitwanderwege „macht“, vom 01er bis zum 08er. Jedes Wochenende und jeden Feiertag fährt er dorthin, wo er zuletzt aufgehört hat, und wandert weiter und drückt alle Kontrollstempel in sein Tourenbuch. Im Sommer, wenn er Urlaub hat, macht er natürlich längere Strecken, aber hin und wieder muß er halt doch unterbrechen, weil er muß ja Proviant kaufen „und waschen muß man sich ja auch hin und wieder“. Dann erkundigt er sich noch einmal nach den Gipfelstempeln, und zieht weiter seines Weges.
Der einsame Wandersmann mit seinem Tourenbuch ist der Grindige Sepp, und die Geschichte, die er einem erzählt, stimmt nur halb. In Wahrheit steht er unter einem Fluch.

Der Grindige Sepp kann nicht sterben, bevor er nicht alle acht Österreichischen Weitwanderwege gemacht und alle Kontrollstempel in der richtigen Reihenfolge in sein Tourenbuch gestempelt hat. Aber jedesmal, wenn er meint, daß er jetzt bald alles beisammen hat, erzählt ihm irgenwer von einem Stempel, den er übersehen hat, oder der verlorengegangen war und jetzt wieder ersetzt worden ist – manche Leute begnügen sich ja nicht mit einem Stempelabdruck als Andenken, die müssen gleich den Stempel selber mitnehmen – und dann kann der Grindige Sepp sein Tourenbuch wegschmeißen und muß wieder ganz von vorn anfangen. Daß er hin und wieder seine Wanderung unterbricht, um sich zu waschen, stimmt auch nicht ganz. Immer nur am Ende eines Zyklus, bevor er in Rust am Neusiedlersee seinen Weg von neuem beginnt, darf er sich waschen. Darum heißt er der Grindige Sepp.
Wer er ist, weiß niemand genau zu sagen. Manche meinen, es ist ein alter Alpenvereinsfunktionär, vielleicht sogar der Begründer der Österreichischen Weitwanderidee. Andere meinen, daß es jener Werbefachmann ist, der in den Siebziger Jahren den Slogan „Wanderbares Österreich“ erfunden hat und dafür zum ewigen Weitwandern verdammt worden ist.

Ein Gedanke zu „Der grindige Sepp“

  1. …und wenn er nicht gestorben ist,wandert er auch heute!!!!

    ….schoene geschichte,und ein guter versuch —-um manche ungereimtheiten, auf diesem planeten zu erklaeren……….

    beste gruesse,

    m.

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