Nasreddin Hodscha und die Nationalökonomie

Facebooktwitterredditpinterestlinkedinmail

Der Sultan von Usbekistan war einst in großen Schwierigkeiten. Handel und Wandel in Usbekistan lagen darnieder, da zu wenig Gold im Lande war, und der Sultan nahm keine Steuern ein. Der Sultan wusste schon nicht mehr, womit er seine Beamten und Soldaten bezahlen sollte. Er ließ alle seine Ratgeber zusammen kommen, aber keiner wusste eine Lösung. Schließlich wandte sich der Sultan an den Mullah Nasreddin Hodscha. Der besann sich eine Weile, dann sagte er: „Ich glaube, ich habe eine Lösung. Majestät besitzen doch ein ein Känguru?“
„Ja“, sagte der Sultan.
„Und außer Majestät besitzt niemand in diesem Land ein Känguru?“
„Nein“, sagte der Sultan.
„Und scheißt es, das Känguru?“
„Es scheißt,“ sagte der Sultan.
„Nun“, sagte Nasreddin Hodscha, „So erlassen Majestät ein Gesetz, dass die Beamten ab nun in Känguruscheiße bezahlt werden.“
Der Sultan kratzte sich am Kopf: „Ich fürchte, das werden sie nicht mögen“, sagte er.
„Sie werden“, sagte Nasreddin beschwichtigend. „Sie werden es mögen, sobald sie von dem zweiten Gesetz hören werden, das Majestät zu erlassen die Güte zu haben geruhen werden.“
„Und was ist das für ein Gesetz?“
„Ein neues Steuergesetz. Es verpflichtet jeden Bürger, am Ende des Jahres dem Finanzamt ein Böhnchen Känguruscheiße abzuliefern. Bei Nichtablieferung gibt es hundert Peitschenhiebe auf die Fußsohlen.“
Der Sultan schmunzelte: „Ein diabolischer Plan, mein lieber Nasreddin. Wenn er gelingt, wirst du Finanzminister.“
Der Plan wurde durchgeführt. Die Beamten erhielten monatlich zehn Böhnchen Känguruscheiße. Das erste legten sie für die Steuer zurück und für den Rest konnten sie so ziemlich alles eintauschen, was sie brauchten. Denn natürlich war jeder Bürger und jede Bürgerin des Landes begierig, in den Besitz von Känguruscheiße zu kommen, um den hundert Peitschenhieben zu entgehen. Bald war Känguruscheiße die anerkannte Währung des Landes und niemand redete mehr von Gold. Alle Staatsausgaben wurden in Känguruscheiße beglichen, der Handel kam wieder in Schwung, auf dem Markt und an der Börse zahlte man mit Känguruscheiße, im Bordell und in den Opiumhöhlen ebenso. Natürlich gab es auch Betrüger, die versuchten, armen halbblinden Witwen Kaninchenkötel oder Ziegendreck anzudrehen, es gab auch welche, die von den Känguruböhnchen ein wenig abschabten und so aus zehn Böhnchen elf machten, aber die Polizei des Sultans, bezahlt mit Känguruscheiße, legte ihnen bald das Handwerk beziehungsweise verlangte derart hohe Summen an Bestechungsscheiße, dass es sich für die Betrüger kaum lohnte. Usbekistan wurde ein blühendes Reich und Nasreddin Hodscha wurde Finanzminister und blieb es, bis das Känguru Durchfall bekam und starb. Dann wurde in Usbekistan Papiergeld eingeführt.

Ganz der Papa

Facebooktwitterredditpinterestlinkedinmail

Reine Theorie:
Kinder sollten eigentlich einen Vorteil davon haben, wenn sie nach der Geburt und als Säugling dem Partner der Mutter ähnlich sehen. Kinder, bei denen der Partner der Mutter so gar keine Ähnlichkeit mit sich selbst feststellen kann, laufen eher Gefahr, von ihm als Bastard verstoßen zu werden (möglicherweise samt der Mutter) oder zumindest vernachlässigt zu werden.
Gibt’s dazu schon Untersuchungen?

AMBRELA: Alle unter einem Schirm

Facebooktwitterredditpinterestlinkedinmail

“Ich bin Ljatifa Šikovska-Toci, ich bin geboren in Gostivar, Zeit dreizehn August neunzehnhundertsechzigste Jahr. Meine Familie war sehr arme um diese Zeit, weil meine Papa hat jung gestorben und wir haben sechs Kinder in meine Familien. Mutter war alleine als Mutter, sie war für uns Mutter und Vater. Sie hat in eine Schule geschafft als Putzfrau und für sie war sehr schwer mit sechs Kinder, weil alle in diese Zeit in Schule gegangen, und trotzdem sie hat uns viel Unterstütz gegeben und Möglichkeit zum eduzieren werden. Neben seine Arbeit sie hat geschafft, weil diese Geld war zu wenig für uns, sie hat Nachtstunde gemacht in andere Arbeitsplatz. Und ich damals als Schülerin sehr arme war. Ich hab keine Schulbücher gekauft, keine Schulmaterial und Tasche, aber trotzdem ich war jede Tag in Schule, weil ich wollte zu lernen wie alle andere Kinder.
Weil meine Familien is Roma-Familien.”

Ljatifa Šikovska hat die Universität absolviert, aber Deutsch hat sie auf dem Fußballplatz gelernt. Fünf Jahre lang hat sie als Profifußballerin für Viktoria Neuenhaßlau Tore geschossen und die Mädchenmannschaft trainiert. Als Romni hat sie in ihrer Heimat Mazedonien nie eine Anstellung im öffentlichen Schulwesen bekommen, obwohl sie diplomierte Sportlehrerin ist.

Nach ihrer Rückkehr in die Heimat hat sie sich zuerst bei Open Fun Football Schools engagiert. Diese Organisation, von einem ehemaligen Verantwortlichen des UNO Flüchtlings-Kommissariats unter dem Eindruck des Bosnien-Konflikts gegründet, hat zum Ziel, Mitglieder unterschiedlicher Kulturen und verfeindeter Gruppen durch Sport und Spiele wieder zusammenzubringen. Erst in dieser Zeit, so sagt sie, wurde ihr bewusst, wie sehr in dem neuen Mazedonien die Roma-Kinder benachteiligt waren. Im alten Jugoslawien, so sagt sie, hätte es keine Diskriminierung aus Gründen der Nationalität gegeben.

Im neuen Mazedonien aber zählen die Roma zu den Verlierern des gesellschaftlichen Wandels.

Obwohl Mazedoniens Verfassung als einzige in Europa die Roma als nationale Minderheit anerkennt, gibt es offene und versteckte Diskriminierung und viele Rechte stehen nur auf dem Papier. Romakinder werden im Unterricht von den Lehrern oft übergangen oder werden von Schulpsychologen automatisch in die Sonderschule geschickt. Die Eltern, oft selbst nur wenig gebildet, können ihren Kindern nur schlecht bei den Hausaufgaben helfen, können oft die Schulausstattung nicht kaufen, können den Kindern keinen Platz bieten, wo sie ungestört lernen können. Die Kinder brechen ihre Schulausbildung oft vorzeitig ab, finden selbst wieder keine Anstellung, und der Kreislauf von Arbeitslosigkeit, Armut und schlechter Ausbildung geht weiter. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, hat Ljatifa Šikovska das Roma-Bildungs- und Integrationszentrum AMBRELA in Šuto Orizari gegründet.

In Šuto Orizari leben die Leute davon, dass einer dem anderen die Haare schneidet. In keiner Großstadt wird man so viele Friseurläden pro Kopf finden wie in diesem nördlichsten Stadtbezirk von Skopje, der hauptsächlich von Roma bewohnt wird. Ein solches Unternehmen braucht keine großen Investitionen: ein Spiegel, Scheren, Lockenwickler, Haarglätter – und man kann es im Wohnzimmer betreiben. Freilich bringt es auch nicht viel ein: Ein Herrenhaarschnitt kostet 200 Denar, das sind 3,30 Euro. Mit der Maschine die Hälfte.

Solcherart ist die ganze Ökonomie von Šuto Orizari, auch Šutka genannt. Frau Šaban lebt von ihrer Tiefkühltruhe, die sie im Vorzimmer stehen hat. Auf den ersten Blick scheint die Truhe leer zu sein, aber auf ihrem Grund ruhen zwei Schachteln Eis am Stiel. Sie kauft das Eis um acht Denar pro Stück und verkauft es um zehn Denar. Wenn sie an Kinder, die auf dem Schulweg an ihrem Haus vorbeilaufen, fünf Eis verkauft, hat sie das Geld für einen Wecken von dem wattigen Weißbrot verdient, das hier jede Mahlzeit begleitet – oder die ganze Mahlzeit darstellt. Für ein Kilo Tomaten muss sie schon 45 Eis verkaufen.

Der 23-jährige Erdzan ist Tischler und baut dir eine Küchenwand um 300,00 Euro. Er baut sie in deiner Küche zusammen, denn er hat keine Werkstatt, nur ein paar Heimwerker-Werkzeuge. Sein Vater ist Schneider, er näht dir um zehn Euro eine Jeans mit sovielen Taschen wie du willst auf seiner Singer-Nähmaschine mit Fußbetrieb. Er kann aber nur bei schönem Wetter arbeiten, weil die Maschine vor dem Container steht, in dem er mit seiner Familie wohnt. Den Container hat er vom Land Rheinland-Westfalen bekommen, das nach dem Balkankrieg hier zusammen mit Caritas Essen sich um die Flüchtlinge gekümmert hat, die aus Deutschland zurückgeschickt worden waren.
Wer einen Computer hat, kann Musik-CDs kopieren und verkaufen, das Stück um 50 Cents. Raubkopien von Filmen kriegt man um einen Euro. Wer ein Auto hat, kann es als Taxi einsetzen, wer ein Pferd hat, transportiert Ziegel und Sand zu den Baustellen, denn gebaut, angebaut und umgebaut wird an allen Ecken. Die Leute kriegen schließlich Kinder und die Kinder gründen Familien und die müssen irgendwo untergebracht werden. Oft geht freilich das Geld aus und dann bleibt so ein zugebautes Stockwerk jahrelang unfertig stehen, bis vielleicht Verwandte aus dem Ausland ein größeres Geldgeschenk schicken oder sonst irgend ein Wunder passiert.

Mechaniker reparieren Autos und Motorräder vor der Haustüre, ein Wasserschlauch und ein Schwamm und fünf Quadratmeter Platz ergeben eine Autowaschanlage.

Entlang der Hauptstraße gibt es einen großen Markt. Hauptsächlich für Textilien, die meist aus Bulgarien oder der Türkei stammen. Hier kommen auch die Bewohner von Skopje zum Einkaufen her, denn hier gibt es Jeans oder ein paar Sportschuhe schon ab fünf Euro. Auch aus anderen Städten kommen Einkäufer hier her und verkaufen die Ware dann weiter in Kumanovo oder Tetovo oder wo immer. Hier auf dem Markt kann es der eine oder andere auch zu etwas bringen. Einem Textilhändler gehört hier eine vierstöckige Villa mit Pool, die mit ihren vielen Bögen und geschwungenen Balkonen und Terassen wie ein orientalischer Palast aussieht.

Ein halber Quadratmeter Verkaufsfläche muss eine Familie ernähren (Foto: Martin Auer)

Der 23-jährige Senad bietet auf einem Tischchen, das einen Meter lang und einen halben Meter breit ist, Papiertaschentücher, Rasierklingen, Batterien, CD-Rohlinge, Schwammtücher, Klebestreifen, Superkleber und tausend andere Kleinigkeiten an. Damit ernährt er seine Eltern und die Schwester. Er unterhält sich gern mit Ausländern auf Englisch und trägt immer wieder neue Wörter und Sätze in sein Notizbuch ein, um sie auswendig zu lernen.

Richtige Arbeit, also eine Anstellung, haben nur die wenigsten, vielleicht zehn, vielleicht 30 Prozent, mehr sicher nicht.

Herr Musa zum Beispiel arbeitet seit 30 Jahren als Mechaniker bei den städtischen Autobuslinien. Aber der ist eine der wenigen Ausnahmen.
Sozialhilfe gibt es, ja. 20 oder 30 Euro, von denen eine ganze Familie leben soll. Aber die gibt es auch nur für die, die ihre Papiere beisammen haben. Doch nach dem Zerfall von Jugoslawien sind viele übriggeblieben, von denen keiner weiß, wohin sie gehören. Sie leben hier in Mazedonien, aber sie gelten nicht als Staatsbürger, haben keinen Pass, keine Krankenversicherung, keinen Anspruch auf Rente oder eben auf Sozialhilfe. Dazu kommen die Flüchtlinge aus dem Kosovo, die noch immer nicht zurück können.

Ein Pferd ist ökonomischer als ein Auto (Foto: Martin Auer)

Viele leben vom Recycling. Sie durchwühlen die Abfallcontainer von Skopje nach brauchbarem Material: Plastikflaschen, Glasflaschen, Altmetall, Karton. Aber selbst für dieses Business sind Investitionen notwendig: Man braucht ein Transportmittel. Ein Pferdewägelchen tut gute Dienste. Für Transporte über kurze Strecken ist der Pferdewagen ökonomischer als ein motorisiertes Fahrzeug. Oft sieht man Familien – Vater, Mutter und zwei, drei Kinder – mit dem Pferdewagen von Mülltonne zu Mülltonne reisen. Zu Hause wird die Ausbeute hinter dem Haus oder auch im Haus gelagert und sortiert. Und in manchen Fällen hat das Haus ein Dach aus Karton und Plastikplanen und vier Wände aus ohne Mörtel aufeinander geschichteten Ziegeln. Das sortierte Material bringt man dann zu dem Platz, wo die Aufkäufer mit ihren Lastautos hinkommen. Ein BigBag mit Plastikflaschen fasst ungefähr zwei Kubikmeter. Der bringt dann drei Euro.

Zu Hause wird die Ausbeute sortiert (Foto: Martin Auer)

Ein Kübel und ein Lappen und ein Fensterwischer: auch das ist eine Investition für ein Business. Einige Hundert Kinder warten in Skopje an den Kreuzungen und waschen den haltenden Fahrern gefragt oder ungefragt die Windschutzscheibe in der Hoffnung, mit fünf oder zehn Denar entlohnt zu werden.

Als letzter Ausweg bleibt das Betteln. Oder die Prostitution. Oder das Stehlen.

Es wäre lächerlich so zu tun, als ob es unter den Bewohnern von Šuto Orizari keine Drogenhändler, Zuhälter, Huren und Diebe gäbe. Allein im letzten Jahr hat es hier zehn Drogentote gegeben bei einer Bevölkerung von etwa 30.000. Aber wie das so ist mit Vorurteilen: zwei ungewaschene Kinder auf der Straße, ein geknacktes Auto, und schon sieht man nicht mehr die vielen, die mühselig ihre Pfennige zusammenkratzen damit die Kinder aufs Gymnasium und vielleicht einmal auf die Universität gehen können.

Wenn man mit Ljatifa durch das Viertel geht, kommt man kaum weiter. Überall wird sie begrüßt, fallen ihr Kinder um den Hals, braucht jemand eine Auskunft, einen Rat oder hat etwas Wichtiges zu berichten. Ljatifa ist nicht nur als Erzieherin tätig. Wenn Roma-Frauen gesucht werden, die bei den Parlamentswahlen als Wahlmonitorinnen in die Wahllokale gehen – Ljatifa organisiert das. Wenn die erste nur aus Roma bestehende Expertenkommission Erhebungen über die soziale Lage der Roma durchführt – Ljatifa ist dabei. Wenn die Bevölkerung über das neue Schulgesetz aufgeklärt werden soll – Ljatifa geht von Haus zu Haus. Wenn jemand, der keine Papiere hat, ins Krankenhaus muss – Ljatifa weiß Rat.

“Geht hin in die Schule. Lasst die Lehrer merken, dass ihr euch darum kümmert, wie unterrichtet wird!” (Foto: Martin Auer)

Ein junges Mädchen kommt uns auf Rollschuhen entgegen. Sie trägt eine hellblaue Pyjamahose und ihr braunes Haar ist kurzgeschnitten. Als sie 13 war, erzählt Ljatifa, ist sie plötzlich nicht mehr in das Jugendzentrum gekommen, in dem Ljatifa damals gearbeitet hat:

“Ich zu sie nach Hause – sie hat nicht reden wollen, weil Vater war da.

Ich gesagt: ‚Kommst du morgen gleich nach Nadež, sonst gibt’s Probleme!’

Nächste Tag sie ist gekommen, ich zu sie gesagt: ‚Kannst du alles sagen, was hast du Probleme, was ist los. Musst du kein Angst haben!’

Sie gesagt: ‚Mein Vater will nicht, dass ich ins Schule gehe, der will mir verheiraten, der hat mich verkauft.’

Ich zu sie gesagt: ‚Was brauchst du für Schule, brauchst du Buch, Hefte?’

Ich sie alles gegeben. Und ein paar Monat ist gegangen gut. Dann wieder sie ist nicht gekommen. Ich sie getroffen auf Straße, sie gefragt: ,Was ist los?’

‚Ja, mein Vater, der hat mir verkauft an Taxifahrer!’

Diese Male ich zu sie nach Hause gegangen. Ich angesteckt so eine, eine badge, eine Abzeichen, wie social worker von Sozialamt. Ich mit Aida gegangen. Die Aida hat so gelacht wie ich angesteckt diese badge. Ich gesagt: ;Das ist nicht zum Lachen, wenn eigene Vater verkauft die Tochter.’

‚Aber ich lache nur wegen die Badge.’

Und wir hineingegangen. Und ich gesehen wie der Vater sich gleich hat versteckt in eine Zimmer. Nur war die Großmutter da. Und ich zu sie gesagt: ;Was ist los, warum die Sabina nicht kommt zu Schule?’

‚Ja, die will nicht gehen, die ist faul.’

Aber die Sabina war da und hat sie gesagt zu ihre Großmutter: ‚Du lugst! Deine Sohn mich nicht lasst gehen in Schule!’

‚Und wo ist der Vater?’

‚Ja, der ist nicht da.’

Aber ich gewusst weil ist da, weil hab ich gesehen in Zimmer gehen. Und ich gehen hinein in Zimmer und er gleich: ‚Was ist los, was wollen Sie hier?’

Und ich gezeigt auf mein badge und gesagt, komm ich vom Sozialamt. Und ich, stark, weißt du, weil ich hab keine Angst, wenn geht um Kinder: ‚Du, machst du keine krumme Sachen hier. Ich weiß genau, was los ist, und wenn du Dummheiten machst, bist du gleich morgen im Gefängnis!’

‚Ja aber die will ja gar nicht in die Schule gehen!’

Aber die Sabina zu die eigene Vater gesagt: ‚Du lügst, ich will gehen, aber du lasst mir nicht!’

Und ich wieder geschimpft und gesagt: ‚Kommst du ins Gefängnis!’

Und wieder is gut gegangen ein paar Monat. Aber hab ich nicht genug Kraft zu fokussieren nur auf diese eine Problem, und jetzt sie geht schon selber. Jetzt sie ist 16. Und ich zu Sozialamt und gesagt von diese Fall, und muss ma was machen, aber die – nix.”

Die Notunterkünfte von 1963 werden immer noch bewohnt (Foto: Martin Auer)

Der Stadtteil existiert seit 1963, als man nach dem großen Erdbeben alle Roma, die ihre Wohnstätten verloren hatten, hier draußen ansiedelte.

Die Blechbaracken, die damals von amerikanischen Hilfsorganisationen gestiftet wurden, werden zum Teil immer noch bewohnt. Wer konnte, hat daran angebaut, darüber gebaut, darum herumgebaut. 1996 wurde Šuto Orizari zur selbstverwalteten Gemeinde mit Romani als Amtssprache und einem Rom als Bürgermeister.

Vor 1963 war hier ein Dorf, an dessen Rand ein paar Roma-Familien gewohnt haben. Die Roma Mazedoniens sind schon seit Jahrhunderten sesshaft. (Überhaupt war es immer nur eine Minderheit der europäischen Roma, die das “typische” Wanderleben geführt hat). Die Roma von Šuto Orizari sind sich immer noch dessen bewusst, welcher Kaste sie angehören: Da gibt es die Kovaci, die traditionell Schmiede waren. Viele von ihnen haben in den jugoslawischen metallverarbeitenden Betrieben gearbeitet. Dann gibt es die Topanlii, die einst für die türkische Armee die Kanonen gegossen haben, und die Baruchii, die das Pulver hergestellt haben. Dann gibt es noch die Džambasi, die traditionell Pferdehändler und Fuhrleute waren. Diese Gruppen sprechen noch heute unterschiedliche Dialekte, und noch vor ein bis zwei Generationen wäre es undenkbar gewesen, dass ein Kovac etwa ein Mädchen aus einer Džambasi-Familie geheiratet hätte.

Ihre kulturelle Identität konnten die Roma inmitten einer oft wenig freundlichen Mehrheitsgesellschaft nur bewahren, indem sie streng an ihren Traditionen festhielten. Im Mittelpunkt des Lebens steht die Familie. Die Familie ist die eigentliche Heimat, sie gibt dem einzelnen Halt und seinem Leben einen Sinn. Darum sind Familienfeste auch so wichtig, besonders Hochzeiten, die ja den Fortbestand der Familie sichern. Viele Roma äußern sich selbst kritisch darüber, dass Familien sich in Schulden stürzen, um eine große Hochzeit feiern zu können. Doch diese Feste, zu denen die Verwandten, die vielleicht in Deutschland, Belgien oder Italien auf Arbeit sind, wieder einmal zusammenkommen, sind es, die die Familien zusammenhalten.

Ohne die Familie wären viele ältere oder kranke Menschen verloren.

Wer Arbeit hat, ernährt mit seinem Einkommen oft noch zehn andere, die keine haben, wer im Ausland Arbeit gefunden hat, schickt Geld an die Verwandten, die zurückgeblieben sind. Viele haben ihre Arbeit verloren, als die großen Staatsbetriebe des alten Jugoslawien geschlossen wurden. Ein Ausweg war der Straßenhandel. Man kaufte billige Jeans aus der Türkei und verkaufte sie von Tür zu Tür oder irgendwo am Straßenrand. Allerhand anderes Zeug natürlich auch: Besen, Seife, Kekse… 1995 wurde der Straßenhandel per Gesetz verboten. Die Polizei machte Razzien gegen die nicht lizenzierten Händler, prügelte, beschlagnahmte das magere Handelsgut. Bekannt wurde der Fall einer 45-jährigen Frau, die am Rand des Grünmarktes am Straßenrand Kekse verkauft hatte. Sie wurde von Polizisten geschlagen und getreten und erlitt einen tödlichen Herzanfall. Das Innenministerium weigerte sich, den Fall zu untersuchen.

In Šuto Orizari gibt es zwei achtklassige Grundschulen. Da ihre Kapazität nicht ausreicht, werden die Kinder in drei Schichten unterrichtet. In jeder Klasse sitzen bis zu 40 Schüler und Schülerinnen. Das ist weit über dem mazedonischen Durchschnitt. Man kann sich vorstellen, wie viel Zeit den Lehrern bleibt, sich um die Probleme einzelner Kinder zu kümmern, nämlich gar keine. Die Sprache des täglichen Lebens in Šuto Orizari ist Romani. In der Schule aber müssen die Kinder auf Mazedonisch Lesen und Schreiben lernen. Auch das ist ein großes Handicap. Das Recht auf Grundschulunterricht in der Muttersprache ist zwar in der Verfassung Mazedoniens verankert, doch in der Praxis sieht das so aus, dass an einer der beiden Grundschulen von Šuto Orizari die Möglichkeit besteht, Romani als Freifach zu lernen. Natürlich ist es wichtig, dass die Kinder Mazedonisch lernen. Doch ist inzwischen in der Pädagogik unbestritten, dass die Alphabetisierung am besten klappt, wenn sie in der Muttersprache erfolgt. Auf dieser Basis können dann weitere Sprachen gelernt werden.

Fünf Jahre lang hat Ljatifa Šikovska im Jugendzentrum Nadež als Betreuerin gearbeitet. Das Jugendzentrum wurde jahrelang von Caritas Essen und SOS-Kinderdorf Österreich finanziert. Als 1991 der Balkankrieg auch auf Mazedonien übergriff, sind viele Roma aus Šuto Orizari nach Deutschland geflüchtet. Im Zuge der Rückführungsaktion wurde unter anderem auch dieses Jugendzentrum gegründet, das von einer mazedonischen NGO verwaltet wurde. Obwohl das Jugendzentrum mehrheitlich von Romakindern und sonst noch von albanischen Kindern besucht wurde, gab es unter zwölf Angestellten des Jugendzentrums nur eine Romni und zwei Albanerinnen. Alle übrigen waren ethnische Mazedonierinnen. In einem Gespräch mit dem Autor verteidigte der Vertreter der Caritas diese Politik. Es sei sowieso schwer gewesen, die deutschen Stellen von der Notwendigkeit des Jugendzentrums und anderer Hilfsmaßnahmen zu überzeugen, da die Roma sich mit ihren Übertreibungen anlässlich des Widerstands gegen die Abschiebung bei der deutschen Bevölkerung unbeliebt gemacht hätten. Auch müssten die Kinder ja in der Schule Mazedonisch lernen, also wäre es gar nicht notwendig, mit ihnen im Jugendzentrum Romani zu sprechen. Und schließlich hätte es einfach nicht genügend Roma mit der nötigen Ausbildung gegeben. Ljatifa lässt diese Argumente nicht gelten. Seit der Gründung des Jugendzentrums bis zu seiner Schließung mit Jahresende 2007 hätten genügend junge Roma eine Ausbildung als Sozialarbeiter oder Lehrer abgeschlossen und man hätte nach und nach den Anteil der Roma erhöhen können. Doch die mazedonische Leitung hätte nachzubesetzende Posten schlicht mit Familienangehörigen und Freunden besetzt. Ljatifa betont, dass das Jugendzentrum in den Jahren seines Bestehens durchaus wertvolle Arbeit geleistet hat, dass aber mit den vorhandenen Geldmitteln bei korrekterem Wirtschaften das Doppelte hätte erreicht werden können. Ein Teil der Programme, die den Geldgebern zur Abrechnung vorgelegt wurden, hätte nur auf dem Papier existiert. Auch diesen Vorwurf wehrte der Caritas-Vertreter ab: “Schauen Sie, wenn da unten zwei streiten, wirft einer dem anderen Korruption vor. Das darf man nicht so ernst nehmen!”

Mit Ende 2007 hat SOS-Kinderdorf seine finanzielle Unterstützung eingestellt, da es die Mittel für seine eigentlichen Aufgaben benötigte.

Auf 5×7 Meter wurde geschrieben, gezeichnet, getanzt… (Foto: Martin Auer)

Obwohl Ljatifa und drei andere Mitarbeiterinnen (zwei Albanerinnen und eine Mazedonierin) der Leitung der NGO anboten, ohne Bezahlung weiter zu arbeiten, bis eine neue Finanzierung gefunden werden konnte, wurde das Jugendzentrum geschlossen. So beschloss Ljatifa, ihre eigene Organisation zu gründen: AMBRELA – einen Schirm für die Kinder von Šuto Orizari.

Im Mai nahm das neue Jugendzentrum AMBRELA seine Arbeit auf. In einem 5×7 Meter großen Raum, den ein befreundeter Friseur gratis zur Verfügung stellte. Mit etwas Geld von der österreichischen Botschaft wurden ein paar Plastikmöbel angeschafft, und die vier Frauen konnten wieder unterrichten. Mit Vorschulkindern wurde Mazedonisch geübt, damit sie den Schuleinstieg bewältigen sollten. Die größeren Kinder erhielten Hilfe bei den Hausaufgaben und wurden auf Prüfungen vorbereitet. Eine Volontärin aus Deutschland und ein ehemaliger Zögling von Nadež gaben Mal- und Tanzunterricht.

Auch getanzt wird bei AMBRELA (Foto: Martin Auer)

Eine Bezahlung gab es nicht. Doch das Engagement der Beteiligten machte Eindruck auf Vertreter der Freudenberg-Stiftung, die in Šuto Orizari ein Haus besitzt. Das Haus wurde AMBRELA gratis zur Verfügung gestellt, und nun können hier täglich 50 bis 100 Kinder in verschiedenen Gruppen betreut werden. Nur die Strom- und Wasserkosten müssen bezahlt werden. Ein wenig Geld kommt über die Internetseite herein, auf der die Möglichkeit zum Spenden geboten wird. Das reicht bis jetzt, um diese Kosten abzudecken, aber ob es auch für Papier und Bleistifte reicht, ist fraglich. Um ein bisschen Geld zu verdienen, versucht man auch, an Roma-Kultur interessierte Touristen nach Šuto Orizari zu bringen. Doch dieses Projekt steht erst ganz am Anfang.

Freilich gibt es Entwicklungshilfeorganisationen, von denen Geld aufzutreiben wäre. Doch das ist nicht so einfach. Da müssen Antragsformulare ausgefüllt werden, die viele Seiten lang sind, detaillierte Projektbeschreibungen müssen abgefasst werden, Budgets erstellt – um dann möglicherweise nur eine Ablehnung zu erhalten.

Eine Organisation wie AMBRELA müsste eine eigene Fachkraft nur für das Ausfüllen von Antragsformularen haben. Mithilfe von Volkshilfe Österreich wurde schon ein Antrag an die Stadt Wien gestellt. Ein Antrag an den Roma Education Fund in Budapest ist gerade in Ausarbeitung. Anträge an USAID, Open Society Institute und UNICEF sind geplant.

Auch an ausländische Unternehmen, die in Mazedonien tätig sind, hat man sich gewandt. Das österreichische Energieunternehmen EVN, das die gesamte Stromversorgung Mazedoniens übernommen hat, hat Unterstützung durch Möbel und andere Sachspenden zugesagt. Geschehen ist bisher allerdings noch nichts. Hypo Alpe-Adria hat für das kommende Jahr finanzielle Zuwendungen zugesagt. Man darf hoffen, dass das nicht bloß eine Vertröstung bleibt. Doch Ljatifa Šikovska ist hartnäckig: “Wir geben nicht auf. Muss ma alles tun um unsere Volk zu eduzieren. Weil nur mit Eduzieren kann man vorankommen zu bessere Leben und Integration!”

AMBRELA Website: http://www.ambrela.org

Hier besteht auch die Möglichkeit über PayPal zu spenden
Wer AMBRELA und Šuto Orizari
besuchen will oder als Volontär mitarbeiten will, kann über die Webseite Kontakt aufnehmen.

Spendenkonto:
Stopanska Banka Skopje

REC AMBRELA SKOPJE
SWIFT:STOBMK2X
IBAN: MK07200001769548876

“Frieden beginnt bei dir selbst”

Facebooktwitterredditpinterestlinkedinmail

Es gab einmal eine Stadt, in der die Leute sehr unter Verkehrsstaus litten. Es gab nicht viele Ampeln und ein Grund für die ewigen Staus war dieser: Wenn Autofahrer sich einer Kreuzung näherten und sahen, dass die Kolonne hinter der Kreuzung zum Stillstand kam, dann quetschten sie trotzdem ihr Auto noch auf die Kreuzung, damit sie dann, wenn die Kolonne sich wieder bewegte, nicht vom Querverkehr blockiert werden würden. Auf diese Weise blockierten sie natürlich den Querverkehr. Was dann weiter passierte, ist mit Worten schwer zu erklären. Eine Computeranimation könnte das in einer Minute klar machen. Versuchen wir es trotzdem. Alle Straßen, die sich von Norden nach Süden erstreckten, wurden Straße genannt, und alle, die sich von Westen nach Osten erstreckten Avenue. Sagen wir also, Frau Kumar fährt die 5. Straße entlang nach Norden und nähert sich der Kreuzung 5. Straße und Avenue D. Sie sieht, dass die Kolonne hinter der Kreuzung langsamer wird, aber sie fährt trotzdem in die Kreuzung ein und muss mitten auf ihr stehen bleiben. Auf diese Weise blockiert sie den Verkehr von West nach Ost und von Ost nach West auf Avenue D. So geschieht es, dass Frau Miller, die auf Avenue D nach Westen unterwegs ist, in die Kreuzung mit der 4. Straße einfährt und dort den Verkehr blockiert, und Frau Szymanski, die auf Avenue D nach Osten unterwegs ist, in die Kreuzung mit der 6. Straße einfährt und dort den Verkehr blockiert. Als nächste werden die Kreuzungen der 6. Straße mit Avenue C und E blockiert und die Kreuzungen der 4. Straße mit Avenue C und E und so weiter… Und der Stau erfasst schnell die ganze Stadt.
“Auf unseren Straßen herrscht Krieg!” seufzte Frau Kumar jeden Abend, wenn sie von der Arbeit heim fuhr. Eines Tages erinnerte sich Frau Kumar an den Spruch: Frieden beginnt bei dir selbst.
„“Frieden beginnt bei dir selbst”“ weiterlesen

Als die Soldaten kamen

Facebooktwitterredditpinterestlinkedinmail

Als die Soldaten kamen, versteckten wir uns in einer Höhle draußen in der Wüste. Wir hatten einen Sack aus Ziegenleder gefüllt mit Wasser, ein paar Laibe Brot und ein paar Feigen. Das war alles. Unsere zwei Ziegen hatten wir zurückgelassen. Ich war traurig, denn Großvater sagte, dass wir sie nicht wiedersehen würden. Die Soldaten würden sie töten und essen. Mutter weinte leise, aber sie ließ das Baby an ihrer Brust saugen, damit es nicht zu schreien anfing und unser Versteck verriet. Ich wusste, dass ich nicht weinen durfte, denn ich war ja schon ein großes Mädchen und Großvater sagte, dass ich alles verstehe wie eine Erwachsene. Ich durfte ganz leise mit Großvater sprechen. Nur gelegentlich hörte er ein Geräusch von draußen und dann musste ich still sein, damit er besser horchen konnte.
“Warum werden die Soldaten unsere Ziegen töten?” fragte ich Großvater. “Mögen sie keine Milch?”
“Ach, die mögen schon Milch, aber Fleisch mögen sie lieber. Und vor allem wollen sie nicht, dass die Soldaten von König Babak die Ziegen essen.”
“Ist das nicht unser König, der König Babak?”
“So sagt man, ja.”
“Hätten wir da nicht die Ziegen mitnehmen sollen, um sie für die Soldaten von König Babak zu retten?”
“Die Ziegen hätten uns verraten. Und es ist gleich, ob die Soldaten von König Babak oder die Soldaten von König Ubuk sie essen.”
“Aber wenn König Ubuk den Krieg gewinnt, werden uns seine Soldaten dann nicht töten?”
“Nein. Wenn der Krieg vorbei ist, werden wir Tribut an König Ubuk zahlen müssen statt an König Babak. Das ist der ganze Unterschied.”
“Aber ist Babak nicht unser rechtmäßiger König und der Vater des Landes? Ist er nicht der Vater von uns allen?”
„Als die Soldaten kamen“ weiterlesen

Wie kommt der Krieg in die Welt

Facebooktwitterredditpinterestlinkedinmail

Mein Aufsatz “Wie kommt der Krieg in die Welt” ist neu überarbeitet auf meiner Homepage erschienen.

Der Aufsatz versucht, die Entwicklung menschlicher Gesellschaften als Spezialfall der Selbstorganisation komplexer Systeme zu betrachten. Die Grundthese ist, dass in der Epoche der Zivilisation, also den letzten 10.000 Jahren seit dem Übergang zur Landwirtschaft, die Produktion von Überschuss das entscheidende Moment im Wettbewerb der Kulturen war. Nicht die Kultur setzte sich durch, die den Menschen die beste Lebensqualität bot, sondern diejenige, die es am besten verstand, Überschüsse zu produzieren, die in die Erhöhung der Arbeitsproduktivität zwecks weiterer Steigerung der Überschüsse investiert werden konnten. Diese positive Rückkopplung hat einerseits zu den atemberaubenden Veränderungen in der Biosphäre des Planeten geführt, die wir heute sehen können, birgt aber die Gefahr der Selbstauslöschung in sich.
Der Artikel stellt die These auf, dass die Epoche der Zivilisation – als Epoche der exponentiellen Steigerung der Arbeitsproduktivität bzw. des Energiedurchsatzes – zu einem Abschluss gebracht werden muss, dass die Menschheit als Kollektiv von Individuen die Herrschaft über den spontanen Entwicklungsprozess der Gesellschaft gewinnen muss.
Der Autor ist der Meinung, dass eine radikal sozial und ökologisch orientierte gelenkte Marktwirtschaft eine nicht-expansive Gesellschaftsstruktur ermöglichen würde und so die Gefahr der Selbstzerstörung der Menschheit durch Krieg und Raubbau an Ressourcen minimieren würde.

Finau und das Geld

Facebooktwitterredditpinterestlinkedinmail

William Mariner war ein englischer Matrose, der im Jahr 1805 bei der Südseeinsel Tonga Schiffbruch erlitt und lange Zeit dort lebte. Er hat seine Geschichte einem Schriftsteller namens John Martin erzählt.

Ein Tonganischer Häuptling hat mit seiner Frau die englische Kolonie Botany Bay besucht. Häuptling Finau, der Gastgeber William Mariners, unterhält sich mit ihm.

Zunächst war ihr Leben so schwierig, dass sie wünschten zu sterben. Alle Häuser waren ihnen verschlossen. Wenn sie jemanden essen sahen, wurden sie nicht eingeladen mitzuessen. Nichts konnten sie ohne Geld bekommen, dessen Wert sie nicht verstehen konnten, und auch nicht, wie man dieses Geld bekommen könnte. Wenn sie darum baten, gab ihnen niemand welches, außer, sie arbeiteten dafür, und dann war es so wenig, dass sie nicht ein Zehntel dessen bekommen konnten, was sie wollten. Eines Tages, als er spazieren ging, bemerkte der Häuptling einen Imbissladen. Und da er sah, dass viele Leute hineingingen und mit Lebensmitteln wieder herauskamen, war er sicher, dass dort Essen verteilt würde, wie es der alte Tonga-Brauch war. Und er ging hinein, froh über die Gelegenheit, und erwartete, dass er etwas Schweinefleisch bekommen würde. Nachdem er eine Zeitlang ängstlich gewartet hatte, dass er seinen Anteil bekommen würde, fragte der Geschäftsinhaber ihn, was er wollte, und warf ihn, da er eine unverständliche Antwort bekam, geradewegs hinaus, weil er ihn für einen Dieb hielt, der nur auf eine Gelegenheit zum Stehlen wartete. „Finau und das Geld“ weiterlesen

Essen auf Tonga

Facebooktwitterredditpinterestlinkedinmail

William Mariner war ein englischer Matrose, der im Jahr 1805 bei der Südseeinsel Tonga Schiffbruch erlitt und lange Zeit dort lebte. Er hat seine Geschichte einem Schriftsteller namens John Martin erzählt.

Mr. Mariner und seine Kameraden, ohne Kenntnis der Sprache des Landes und der Bräuche der Leute, waren oft sehr verzweifelt, weil sie nichts zu essen hatten: manchmal brachte man ihnen Essen, aber oft auch nicht; manchmal wurden sie von den Einwohnern eingeladen, ins Haus zu kommen und mit ihnen zu essen; aber oft schien man sie ziemlich zu vernachlässigen, und sie waren genötigt, sich das, was sie brauchten, heimlich zu verschaffen. Schließlich teilte Mr. Mariner dem König durch die Übersetzung Tui Tuis ihre Nöte mit. Der König war sehr überrascht über ihre offensichtliche Dummheit, und erkundigte sich, wie man sich denn in England Nahrung verschaffte. Und als er hörte, dass jedermann die nötigen Vorräte für sich und seine Familie selber durch Kauf erwarb, und dass seine Freunde allermeistens nur dann am Essen teilnahmen, wenn sie dazu aufgefordert wurden, und dass Fremde praktisch nie eingeladen wurden, da lachte er über die – wie er es bezeichnete – Schlechtigkeit und Selbstsucht der Weißen. Und er erzählte Mr. Mariner, dass die tonganische Sitte viel besser sei, und dass er, wenn er sich hungrig fühlte, nichts anderes zu tun brauchte, als in irgendein Haus, in dem gerade gegessen und getrunken wurde, hineinzugehen, sich hinzusetzen und mitzuessen.
Danach wurde unter den Einwohnern die Selbstsucht der Europäer, wie sie es nannten, geradezu sprichwörtlich: wenn irgendein Fremder in ihr Haus kam, um mitzuessen, dann sagten sie zum Spaß: Nein! Wir werden dich auf Papalangi-Art behandeln: Geh heim, und iss, was du hast, und wir werden essen, was wir haben.

Aus: Tonga Islands: William Mariner’s account : an account of the natives of the Tonga Islands in the South Pacific Ocean, with an original grammar and vocabulary of their language. Vava’u Press; 4th ed., 1981. ASIN B0006EB4WI