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Monat: Mai 2007
Anforderungsprofil
Ich bin Rationalist
Ich bin nicht religiös: Ich halte nichts davon, etwas zu glauben, nur weil es tröstlich ist.
Ich halte nichts von Tradition: Ich halte nichts davon, mich an Regeln und Wertvorstellungen zu halten, nur weil Generationen vor mir sich auch daran gehalten haben.
Ich halte nichts von Dogmen: Ich bin nicht bereit, etwas zu glauben, nur weil eine Autorität befiehlt, dies zu glauben.
Ich halte nichts von Vorurteilen: Ich will nicht etwas glauben, nur weil viele andere es glauben.
Ich bin Rationalist: Ich will nur glauben, was man wissenschaftlich untersuchen kann. Ich akzeptiere nur Hypothesen, die prinzipiell widerlegbar, aber nicht widerlegt sind. Ich erkenne nur solche Lehrsätze für vorl�ufig richtig an, die im Experiment die vorausgesagten Ergebnisse liefern.
Ich bin Rationalist.
Allerdings aus völlig irrationalen Gründen: Ich bin so erzogen worden.
Ich trete nicht mehr auf für euch
Dich, dich und dich habe ich gestern im Fernsehen gesehen In der „Gong Show“. Da treten harmlose Menschen auf, die etwas einstudiert haben, „Am Tag, als Conny Kramer starb“ oder sowas. Und eine Jury von sogenannten Comedians gibt denen etweder Punkte oder schneidet Grimassen, imitiert und verarscht sie und einer von ihnen haut schließlich unter Gelächter und Schadenfreude mit einem riesigen Schlägel auf einen gewaltigen Gong, um der armen Sau auf der Bühne zu signalisieren, dass sie verschissen hat. Und du, du und du, ihr seid im Publikum gesessen und habt fröhlich grinsend und hämisch schunkelnd den Daumen nach unten gehalten.
Ich trete nicht mehr auf für euch.
Bei meiner nächsten Lesung bekommen die Kartenabreißer ein Album mit euren Gesichtern und wer erkannt wird, bekommt sein Eintrittsgeld zurück und wird rausgeschmissen.
Ach, ist doch nur Show, sagt ihr, und die Leute, die da auftreten, wissen schließlich, auf was sie sich einlassen, und der Anheizer hat uns noch extra eingeschärft, dass wir nur ja richtig die Sau rauslassen sollen. Und überhaupt: Ist doch nur Spaß.
Aber bei solchem Spaß kotz ich mich an.
Diese Leute haben sich immerhin angestrengt und ihre Zeit kreativ verbracht anstatt doof in die Glotze zu starren oder ihre Kinder zu verprügeln. Dafür verdienen sie auf jeden Fall Respekt. Wie wollen wir die Jugendlichen von der Straße und den Drogen weg in die Töpferkurse und Theatergruppen bringen, wie den alten Leuten in Seniorentanzkursen Erleichterung vom Pensionsschock verschaffen, wenn wir ihnen gleichzeitig zu verstehen geben, dass Kunstausübung nur dann zählt, wenn sie „ankommt“, „Erfolg“ hat, sich irgendwie mit dem messen kann, was die Profis so bringen? Und wenn die Tanzbewegungen noch so affektiert sind, immerhin hat die Tänzerin Muskeln trainiert, Nerven angeregt, Kalorien verbraucht, und man kann ihr immerhin zugute halten, dass sie etwas für ihre körperliche und seelische Gesundheit getan hat im Gegensatz zu den Couchpotatoes, die sich über sie mokieren.
Jeder Mensch ist ein Künstler. Nicht jeder gehört auf eine Bühne, das ist etwas anderes. Aber jeder und jede, die irgend etwas Künstlerisches tut, und wenn sie den doofsten Popsong nachsingt, erhöht ihre Menschlichkeit. Sicher wissen die Leute, die sich für eine solche Show bewerben, worauf sie sich einlassen. Und manche arme Sau riskiert lieber, sich im Fernsehen lächerlich zu machen, als einsam in grauer Anonymität zu verbleiben. Traurig ist das. Aber in solchem Fall kann man doch betreten zu Boden schauen, nicht wahr, und den Händen ein höfliches, kleines Patschen entlocken, das der oder dem Auftretenden vermittelt: Tu es, aber tu es halt zu Hause. Oder hat man denen beim Casting etwa gesagt: „Wir nehmen dich, weil du so ein herrliches Arschloch bist und wir sicher sind, dass du dich auf der Bühne ganz großartig blamieren wirst. Sehr gut, jetzt brauchen wir nur noch zwei Arschlöcher und dann haben wir die Show beisammen.“
Mir zeigen oft nette Omas Geschichten, die sie für ihre Enkel geschrieben haben, und fragen, ob man das nicht verlegen könnte, ihren Enkeln gefallen die Geschichten doch sooo gut. Denen sage ich, wenn ich einen Blick in das Manuskript geworfen habe, meist das Folgende: „Schreiben Sie weiter Geschichten für Ihre Enkel. Die Verlage kriegen sowas jeden Tag dutzendweise, da haben Sie keine Chance, aber das soll Sie nicht abschrecken. Denn Ihr Enkelkind hat eine Oma, die ihm Geschichten schreibt, und eine eigene Oma, die nur für mich Geschichten schreibt, das kann weder von Harry Potter noch von Pippi Langstrumpf übertroffen werden.“
Keineswegs aber werde ich mich über ihre Zwerglein und Elfchen und redenden Lokomotiven lustig machen. Denn diese Oma schreibt Geschichten für ihr Enkelkind und darum ist sie erlöst schon in dieser Welt und wird von den Englein dereinst in den Himmel getragen werden.
Für euch aber – wer gemeint ist, weiß es schon – trete ich nicht mehr auf.
Nur ein Spot
„Dran bleiben, nur ein Spot“ verspricht man uns auf Sat 1.
Warum nur ein Spot? So: Kommt, bleibt dran, tut ja nicht weh, bloß ein Spot. Warum denn? Sind Werbespots denn was Schlechtes? Wollen wir vielleicht keine Werbespots sehen? Sind Werbespots denn eine bescheuerte Gehirnwäsche mit der man uns irgendwelche Scheiße andrehen will? Sind das nicht unterhaltsam gestaltete Produktinformationen, die uns eine objektive Kaufentscheidung erleichtern sollen? Warum heißt die Ansage dann nicht: Leute, bleibt dran, jetzt kommt zwar eine total blöde Comedy-Show, aber keine Angst, nach zehn Minuten kommt wieder Produktinformation? Warum denn nicht?