Ich fahre mit dem Rad auf der Sechshauser Straße und will bei der Stiegergasse an der Ampel links abbiegen. Ein Mini Cooper schießt rechts an mir vorbei, schneidet mich, weil er ebenfalls links abbiegen will, schafft’s aber nicht mehr, bevor die Ampel rot zeigt, steigt knapp vor mir auf die Bremse. Ich bleiben neben ihm stehen und klopfe an die Scheibe.
Er, ein Herr im Anzug, vielleicht fünfzig, wedelt mit dem Handrücken: Hau ab, lass mich in Ruh!
Ich durch die Scheibe: „Herst, des war jetzt net leiwand von dir, des war ziemlich riskant!“
Er wedelt. Dann: Scheibe einen Spalt runter: „Wir sind nicht per Du“, Scheibe rauf.
Ich durch die Scheibe: „Wann mi wer fast überfahrt, bin i mit eahm per Du!“
Scheibe einen Spalt runter: „Du …PÖler!“, Scheibe wieder rauf.
Ich durch die Scheibe: „Was maanst? S oder F, des hab i jetzt net verstanden!“
Scheibe einen Spalt runter: „Du FPÖler! Du Nazi. Alle Österreicher sind Nazis!“, Scheibe wieder rauf.
Ich durch die Scheibe: „Herst, da hast di jetzt g’irrt: I bin a Jud!“
Scheibe einen Spalt runter: „Sicher nicht. ICH bin Jude!“, Scheibe wieder rauf, Tritt aufs Gas.
Ich, empört, gekränkt, schreie ihm nach: „Mayn Zejde un Bobbe hoben sej gehargenet in Treblinka!“
Warum mache ich das? Warum brauche ich diesen symbolischen Opferausweis? (Mein Vater hat einen realen gehabt.) Und warum hat er diese Paranoia? Und warum habe ich mir dreimal überlegt, ob ich diese Geschichte hier posten kann? Leiste ich damit nicht dem Antisemitismus Vorschub? Warum habe ICH noch diese Paranoia: Was werden die Gojim davon denken? Warum ist alles immer noch so irrational?