Lesung im Amerlinghaus 3. März 2017

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Bei meiner Geburt
war ich krank.
Der Arzt sagte, ich hätte
nur noch 73 Jahre zu leben,
plus oder minus ein paar.
Ich habe die Diagnose
sehr ernst genommen
und mich gleich erkundigt
nach einem Platz im Hospiz für Sterbebegleitung,
und ich muss sagen, man behandelt mich hier
sehr aufmerksam.

Also wenn ich so sitze
im Schanigarten von meinem Café
bei meinem Vormittags-Prosecco
und Bagel mit Lachs,
und da kommt so ein Romamädchen daher
und streckt die Hand aus
mit dem einstudierten traurigen Blick –
die können das gut! –
da nur kurz den Kopf zu schütteln und
wieder starr in die Zeitung zu schauen,
dazu braucht man Nerven.

Aber die hab ich zum Glück.

Lampedusa

Und hast du die Decke mitgenommen, mein Sohn,
die Decke aus roter Wolle?
Ich hab sie für dich gewebt, mein Sohn,
dort im Norden sind kalte Nächte.

Ja, Mutter, ich habe die Decke mit,
die Decke aus roter Wolle.
Wenn sie mich einhüllt, denk ich an dich
und wie du mich immer gewärmt hast.

Und hast du die Dollars mit, mein Sohn,
die Dollars in kleinen Scheinen?
Ich hab sie für dich verdient, mein Sohn,
mit Putzen und Waschen für Fremde.

Ja Mutter, ich habe die Dollars noch,
die Dollars in kleinen Scheinen.
Ich hab sie ins Jackenfutter genäht,
direkt über meinem Herzen.

Und hast du ein Heim gefunden, mein Sohn,
ein Haus, einen sicheren Hafen?
Hast du einen Platz, wo du bleiben kannst
ohne Furcht vor Hunger und Feinden?

Ja Mutter, ich habe ein Heim gefunden,
hier werd ich für immer bleiben.
Auf dem Grund des Meeres da liegt es sich ruhig
ohne Furcht vor Hunger und Feinden.

A Denkmal in der Luft über der Hellerwiesen

Auf dem Belgradplatz in Wien Favoriten (Ecke Davidgasse/Bernhardstalgasse) befindet sich ein kleiner Park, der letzte Rest der einstigen Hellerwiese. Die hatte ihren Namen von der Zuckerwarenfabrik der Brüder Heller, an die sie grenzte. Diese Wiese war jahrzehntelang ein Rastplatz und Treffpunkt der Lovara, Roma und Sinti. 1942 wurden die Lovara, Roma und Sinti von der Gestapo dort zusammengetrieben und dann in die Vernichtungslager im Osten deportiert.

A Denkmal in der Luft über der Hellerwiesen,
a Denkmal im Rauch, im Rauch.
A Denkmal in der Luft über der Zuckerlfabrik,
a Denkmal im Rauch.

In der Luft im Rauch über der Hellerwiesen,
Hörst die Rösser stampfen? Hörst die Wägen rumpeln?
In der Luft im Rauch über der Hellerwiesen,
“Romale! Chavale!“ hörst es singen?

Hörst des Feuer prasseln unterm Gulaschkessel:
“Wo kummt’s ihr her, wo fahrt’s ihr hin,
was kosten die Rösser, was zahln’s dort für Körbe?“
Hörst die Kinder schrei’n beim Fangerl spiel’n?

A Denkmal in der Luft über der Hellerwiesen,
a Denkmal im Rauch, im Rauch.
A Denkmal in der Luft über der Zuckerlfabrik,
a Denkmal im Rauch.

In der Luft im Rauch über der Hellerwiesen,
“Ramt’s die Wäsch weg, die Zigeuner kommen!“
In der Luft im Rauch über der Hellerwiesen,
“Die Zigeunerin hat g’sagt, i heirat bald!“

A Denkmal in der Luft über der Hellerwiesen,
a Denkmal im Rauch, im Rauch.
A Denkmal in der Luft über der Zuckerlfabrik,
a Denkmal im Rauch.

A Denkmal in der Luft für die Bettelkinder,
für die Wahrsagerinnen, für die Arbeitsscheuchen,
für die Roßtäuscher, Diebsgsindel, Untermenschen,
die was aufg’stiegen san im Rauch.

Und der Wind waht den Rauch auf die Hellerwiesen
und sie leben im Rauch, im Rauch.
A Denkmal in der Luft über der Hellerwiesen.
A Denkmal im Rauch.

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