Einige Überlegungen anlässlich der Debatte um den „Kopftuch-Sager“ von Van der Bellen.
Ich habe den Offenen Brief der acht Menschenrechts-Aktivistinnen gelesen. Die acht Frauen haben recht und haben nicht recht. Der Symbolgehalt eines Kleidungsstücks ist nicht immer derselbe. Es kommt immer darauf an, wer es wann und wo und warum trägt.
Ein Hut ist auch nur ein Hut, aber in der Kirche nimmt man ihn ab und in der Synagoge setzt man ihn auf.
Wenn junge Frauen auf einer Anti-Rassismus-Demo in Wien das Recht fordern, als Musliminnen in der Gesellschaft sichtbar zu sein, dann hat das Kopftuch einen anderen Symbolgehalt, als wenn im Iran Revolutionsgarden eine Frau nach Hause schicken, weil ihr Haar sichtbar ist.
Man soll nie nix mit nix vergleichen, aber ich kann mir vorstellen, dass jemand, der in einer Klosterschule von Patres missbraucht worden ist, sich schwer tut, sich mit diskriminierten Christen im Iran oder in China zu solidarisieren. Sollte er aber tun!
Ich bin kein Freund von Religionen. Religiöse Ideologien haben meistens unterdrückende, nur selten befreiende Funktion. Und die befreiende kann sehr schnell wieder in die unterdrückende umschlagen (Siehe z.B. Katholizismus in Polen von 1980 bis heute). Trotzdem ist es gut und richtig, dass Religionsfreiheit ein Menschenrecht ist. Weil man der Religion nicht durch Verbote und Unterdrückung beikommt.
Und wenn ich kein weißer, mittelständischer westlicher Mann wäre, sondern eine Menschenrechts-Aktivistin aus Pakistan oder dem Iran, dann würde ich zu meinen Geschlechtsgenossinnen sagen: „Schwester, ich will nicht, dass du ein Kopftuch trägst und dich all dem unterordnest, was dieses Kopftuch symbolisiert. Aber wenn es dir jemand gewaltsam herunterreißen will, dann steh ich zu dir! Wenn dich jemand deines Kopftuchs wegen zu einer Bürgerin zweiter Klasse degradieren will, dann steh ich zu dir.“
Parallelen zwischen dem heutigen Anti-Islamismus in Europa und dem Antisemitismus der Nazis aufzuzeigen, ist keine Verharmlosung des Holocaust, Herr Strache! Denn auch die NSDAP hat einmal klein angefangen.
So wie der Antisemitismus mit der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung gleichzeitig einen äußeren und einen inneren Feind aufgebaut hat, tut das auch der Anti-Islamismus.
Man sieht es dem Wort „Anti-Islamismus“ nicht an, ob es eine Gegnerschaft zum Islamismus oder zum Islam meint. Und das trifft genau die Sache. Anti-Islamismus ist keine eindeutige, in irgendwelchen Manifesten vereinheitlichte Ideologie. Gerade seine Schwammigkeit macht ihn so gefährlich. Sie ermöglicht, Gegnerschaft zu IS-Terrorismus und Scharia zu vermengen mit einer Gegnerschaft zur „islamischen Welt“, die von Indonesien bis Marokko reicht. Sie ermöglicht, mit dem Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen in islamisch geführten Staaten die Diskriminierung von islamischen Frauen in Europa zu rechtfertigen. Sie ermöglicht es, Menschen, die vor dem IS fliehen, mit der Parole „Keine Scharia in Europa“ ins Meer zurückzustoßen. So wird ein Bedrohungs-Szenario aufgebaut, das die Verteidigung der Festung Europa rechtfertigt.
Der Anti-Islamismus hilft aber auch mit zu rechtfertigen, dass Menschen, die hier arbeiten, aber nicht hier geboren sind, im Wahlrecht, im Arbeitsrecht, in der Sozialversicherung und in der Entlohnung benachteiligt werden sollen.
Wenn es erst einmal in den Köpfen der Europäer und Europäerinnen verankert ist, dass die Festung Europa verteidigt werden muss gegen die asiatischen und afrikanischen Horden, dann sind wir bereit … für was? Nein, es gibt derzeit in Europa keine starken Kräfte, die Interesse an einem neuen Krieg haben. Wir mischen nur ein bisschen mit, wie z.B. in Afghanistan. Aber die Weltlage kann sich ändern. Hat sich an den grundlegenden Strukturen in der Welt seit dem ersten und dem zweiten Weltkrieg etwas geändert?