Der Heilige

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Es ist nur gut, wenn man alles glaubt, was einem gesagt wird. Und wenn man etwas mit eigenen Augen sehen kann, soll man gar nicht erst nachprüfen, was dahintersteckt.
Die Leute auf Korsika erzählen sich gern die Geschichte vom gefallsüchtigen Madchen: Die hat drei Liebhaber gehabt, und jeder hätte sie gern geheiratet, aber sie hat sie zum Narren gehalten. Kommt eines abends der eine zu ihr, da erzählt sie ihm von einer schweren Buße, die ihr ihr Beichtvater aufgegeben hat. Sie sollte sich ein weißes Tuch umhängen und von Mitternacht bis drei Uhr früh in der Kirchenvorhalle stehen. Da hat ihr der Bursch gesagt, er macht’s für sie.
Kommt der zweite sie besuchen, erzählt sie ihm, ihr Beichtvater hat ihr befohlen, sie soll mit einer Kuhhaut übergezogen in der Nacht auf den Friedhof gehen, und bei einem frischen Grab auf und ab gehen. Da sagt der Bursch, er nimmt ihr die Buße ab und macht’s für sie.
Kommt der Dritte, erzählt sie ihm, sie müsste mit einer Kette rasselnd vom Friedhof zur Kirche gehen und dabei das Vaterunser rückwärts beten. Hat ihr’s der Bursch auch abgenommen.

Wie die Drei in der Nacht die Buße für ihr Mädchen leisten wollen, hat halt ein jeder die andern zwei für Gespenster gehalten, und man kann sich vorstellen, wie sie sich voreinander gefürchtet haben. Das Mädchen aber hat’s am nächsten Tag im ganzen Dorf herumerzählt, dass sie drei Narren hat, die alles für sie tun, sogar um Mitternacht auf dem Friedhof geistern.
Der Streich war ja nun wirklich gelungen, und das ganze Dorf hat köstlich zu Lachen gehabt, aber die drei Burschen haben’s nicht so gut aufgenommen. Sie hatten sich doch einen anderen Dank für ihre Hilfe erwartet. Da wollten sie sich rächen, und keiner von den Dreien hätte sie mehr geheiratet, und wenn ihm ein Schloss dazu geschenkt worden wäre. Dafür aber wollten sie sich rächen, und haben untereinander was vereinbart.
Einen Abend hat sich der Eine als frommer Pilger verkleidet mit einer Kutte und einem langen Bart, dass ihn seine Mutter nicht erkannt hätte. So ist er hingegangen zu dem Haus von dem Mädchen, hat angeklopft und um ein Nachtlager gebeten. Einen frommen Pilger nimmt man gern ins Haus, erstens ist es eine gute Tat, die im Himmel gutgeschrieben wird, zweitens weiß er viel zu erzählen, und das ist was wert in einer Zeit, wo’s noch kein Fernsehen gibt. So haben die Eltern von dem Mädchen ihn gut aufgenommen und ihm zu essen angeboten, was da war, Speck und Brot, und einen Most aus Äpfeln. Aber der fromme Pilger hat alles abgelehnt und gesagt:
„Ich dank‘ euch, liebe Leute, aber ich nehm‘ nichts, denn ich brauch nichts. Seit ich auf meinen Knien bis Rom gerutscht bin, schenkt mir der Herrgott alles, um was ich bete“.
Und er ist niedergekniet, hat die Hände gefaltet und zu
murmeln begonnen. Die Hausleute haben andächtig zugehört, aber nicht viel verstanden, außer hie und da ein paar Brocken wie: „… und einen ganzen Schinken, … und vergib uns unsere Schuld, …und eine Flasche Burgunder, … und erlöse auch diese armen Sünder, …und einen Kuchen, … jetzt und in der Stunde unseres Absterbens, Amen.“
Und mit einem Rums ist ein großer Korb durch den Rauchfang herunter in den Kamin gefallen, mit einem ganzen Schinken, einer Flasche Burgunder, Weißbrot und Kuchen. Den Korb aber haben die Freunde vom Dach aus in den Rauchfang geschmissen.
Der fromme Pilger hat zu fressen angefangen, dass ihm der Saft heruntergeronnen ist, und die Hausleute haben ihn voll Verehrung angeschaut und ihn für einen Heiligen gehalten.
„Ja, ja,“ hat der Pilger gesagt, „so einen Korb schickt mir der Herrgott alle Tage, und oft ist auch eine Botschaft dabei.“
Da haben sie ihn gebeten, er soll nachschauen, ob nicht heute auch eine da wäre. Da schaut er in den Korb, und siehe, er findet einen Zettel. Darauf war geschrieben in einer zierlichen Handschrift: „Wenn du heute Nacht bei einer reinen Jungfrau schläfst, so wird ihr Kind einst ein großer Papst werden.“
Da haben ihn die Eltern gebeten, er solle doch bei ihrer Tochter schlafen. Und das Mädchen hat ganz verliebt auf ihn geschaut. Er hat sich gestellt, als ob er nicht wollte, aber wie sie ihn fast mit Gewalt in ihr Bett gelegt haben, hat er eben nachgegeben.
„Nur muss ich dreimal des Nachts aufstehen, meine Gebete zu verrichten“, hat er noch gesagt. Nun, sie sind zusammengelegen und haben getan, was Männer und Frauen eben miteinander tun, ob heilig oder nicht. Nach einer Weile ist der Heilige aufgestanden und hat gesagt:
„Nun muss ich vors Haus gehen, beten.“
„Geht nur, Ehrwürdiger“, sagt das Mädchen.
Da geht er hinaus, und gibt dem Zweiten das Priestergewand und auch den langen Bart, und der geht damit angetan wieder rein zu dem Mädchen.
Die hat sich gewundert, dass ihr Pilger gleich wieder begonnen hat, womit er grad aufgehört hatte, aber er hat nur geflüstert:
„Das Gebet hat mir Kraft gegeben“, und ihr war’s recht.
Nach einer Weile ist der Pilger wieder aufgestanden um zu beten, und hat draußen sein Gewand mit dem Dritten getauscht. Vom Gebet wiederum gestärkt, hat der Pilger das Mädchen ein drittes Mal beehrt, und sie hat sich gedacht, so ein alter Heiliger muss doch dreimal besser sein als ein gewöhnlicher Mann.
Dann aber ist der Pilger aufgestanden um zu beten, und nicht mehr wiedergekommen. Da hat sie gedacht, er wird wohl weitergegangen sein auf seiner Pilgerschaft.
Wie aber am nächsten Sonntag die drei Burschen vor der Kirche stehen und warten, kommt die Mutter mit ihrem Mann und dem Mädchen zur Messe gegangen, und schreit ganz laut:
„Platz! Platz da! Platz uns vieren! Meine Tochter hat ein Heiliger geschwängert, sie wird einen Papst gebären!“
Und etwas Wahres muss ja wohl dran sein an der Geschichte, denn die Bretonen erzählen sich eine ganz ähnliche.

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