Schlafen

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„Ich hab dich lieb! “
ruft der Sohn ihr ins Ohr.
„Ich dich auch“, krächzt sie
und sucht weiter nach Worten.
„Was möchtest du denn?“
„Schlafen“, flüstert sie, „ich will noch schlafen.“
„Dann schlaf nur! „, ruft der Sohn ihr ins Ohr. „Ich hab dich lieb! “
„Ich dich auch“, krächzt sie
und schließt wieder die Augen.
Und der Sohn geht für heute.
Er hat noch anderes zu erledigen
und heute wird sie
nicht sterben.

Bin ich jetzt hier zu Hause?

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„Bin ich jetzt hier zu Hause?“, fragt sie. Die neue Zimmergenossin ignoriert sie, und die sie auch.
Wir hängen ihr Bilder an die Wand. Das Foto von ihr mit Mutter und Schwester erkennt sie sofort, aufgenommen vor achtzig Jahren in Schönbrunn, beim einzigen Ausflug, den sich die Mutter jemals hat leisten können.
Der Mann, mit dem sie sechzig Jahre verheiratet war? „Den Herrn da hab ich schon irgendwo einmal gesehen.“ Jahrelang hat sie sein Bild geküsst vor dem Einschlafen, nach seinem Tod, jetzt ist er im Nebel verschwunden.
Langsam löst sich das Leben auf, von der Gegenwart hin zur Vergangenheit. Wo sie gestern war, weiß sie nicht mehr, wo sie vor dem Spital gewohnt hat, erinnert sie nicht. Selbst ihr Name gehört nicht mehr zu ihr. „Trude? Was, heiß ich immer noch so?“
Das Kreuzworträtsel vor ihren Augen ist jetzt ihre Welt. Mühsam füllt sie die Kästchen mit zittrigen Buchstaben, Seite um Seite füllt sie langsam mit Wörtern und Wörtern.

Ein Sünder

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Ein reicher Mann (vielleicht ein Manager von Monsanto oder Nestlé) ist gestorben und muss im Jenseits vor seinen Richter treten.
Schreiend wirft er sich auf die Knie: „Herr, vergib mir, ich war im Leben ein großer Sünder!“
„Beruhige dich!“, sagt der Herr, „Sünder gibt es schon längst nicht mehr. Wir sprechen hier nur von moralisch anders Begabten.“
„Danke, o Herr, Du nimmst mir eine große Last von der Seele. Dann komme ich also nicht in die Hölle?“
„Aber woher, die Hölle ist längst abgeschafft. Wir haben hier ein modernes, humanes Zentrum für Seelen mit origineller Tugendauffassung.“
„Dank sei Dir, o Herr! Und wie ist da die Behandlung?“
„Tja, Eintauchen in siedendes Pech, Zwicken mit glühenden Zangen, Stechen mit eisernen Gabeln …“
„Herr, ich flehe Dich an, was soll daran modern und human sein?“
„Nun, die Gabeln sind desinfiziert!“

Motten

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Mehl, Reis, Grieß, Zucker, das kommt bei mir alles in Dosen. Gute, dicht verschließbare Dosen. Wegen der Motten. Haferflocken, Hirse, Brösel, Kakao – alles kommt in diese dicht schließenden Klarsichtdosen aus Plastik. Aber einmal ist es einer Motte doch gelungen, ihre Eier in einer dieser Dosen abzulegen. Einer Dose, ein Viertel voll mit Grieß. Einer Dose, die irgendwie ganz in den Hintergrund des Küchenschranks gerutscht ist. Und die ich erst gestern gefunden habe. Die Dose war voll toter Motten. Aus ihren Eiern geschlüpft sind sie in einem Paradies. In einem Schlaraffenland von Grieß. Sie haben gefressen, sich verpuppt, sich verwandelt, und sind ein zweites Mal geboren worden. Diesmal in ein Gefängnis. In eine Hölle aus Grieß, aus der es kein Entkommen gegeben hat. Wahrscheinlich sind sie darin erstickt.
Irgendwie scheint mir die Geschichte ein Gleichnis zu sein. Ich weiß nur nicht recht, wofür.

Maybe

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„Ist Weihnachten vorbei?“ , krächzt meine Mutter.
„Gestern war Weihnachten“, schreie ich, um ihre Taubheit zu durchdringen.
Neben dem Bett steht der kleine Plastikbaum, den ihr Enkel, mein Neffe, gestern mitgebracht hat. Die Kette aus bunter Folie, mit der er den Baum geschmückt hat, habe ich vor mehr als fünfzig Jahren gebastelt.
Das Spital ist weihnachtlich leer. Nur sie und ich sind im Zimmer.
„Ich möcht‘ auch Packerln auspacken!“, krächzt sie.
„Du hast gestern Geschenke ausgepackt“, schreie ich. „Schau, diesen Teddy hast du bekommen!“
Sie schaut den Teddy lange an.
„Darf ich ihn behalten?“, krächzt sie.
„Natürlich darfst du ihn behalten!“
„Ich bin jetzt dein Teddy“, schreit der Teddy, um ihre Taubheit zu durchdringen. „Ich hab dich lieb!“
„Ich hab dich auch lieb“, krächzt sie, und spitzt die Lippen, um ihm ein Bussi zu geben.
„Wie heiß ich denn?“, schreit der Teddy.
Angestrengt denkt sie nach. „Maxi! Du heißt Maxi!“
„Ich heiß Maxi! Ich heiß Maxi!“, schreit der Teddy, und hüpft vor Freude auf der Bettdecke herum. „Und wie heißt du?“
Angestrengt denkt sie nach. „I don’t know“, krächzt sie. In ihrer Jugend war sie zwei Jahre in England.
„Heißt du vielleicht Mitzi?“
Schwach schüttelt sie den Kopf.
„Heißt du vielleicht Trude?“, fragt der Teddy, und nennt ihren richtigen Namen.
„Maybe!“
„Oder heißt du vielleicht Mama?“
„No, no, not Mama!“
„Du heißt Trude!“, schreit der Bär. „Ich heißt Maxi, du heißt Trude! Ich hab dich lieb!“, schreit der Bär und streichelt sie mit der Pfote.
„Gib mir ein Bussi!“, schreit der Bär.
Und sie gibt ihm ein Bussi. Und noch viele viele Bussi.

Das Rationale des Irrationalen

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„Der Terror ist nicht Mittel zum Zweck.“, schreibt Doron Rabinovici (über den IS), und: „Der Terror ist der eigentliche Sinn und der eigentliche Unsinn, um den es geht.“
Ich bin nicht dieser Ansicht.
„Der Hass gilt dem Spiel. Wer im Café sitzt, hat sein Recht auf Leben verwirkt. Wer ein Rockkonzert besucht, soll ermordet werden. „
Das scheint irrational, geradezu verrückt. Aber das Vorgehen der Dschihadisten gegen Spiel, Musik, Trinken, Rauchen usw. ist nicht irrational, ob es durch Polizeigewalt in ihrem Herrschaftsgebiet geschieht oder durch Terroranschläge außerhalb. Überall gibt es irrationale Vorschriften, die einen rationalen Zweck erfüllen.
Beginnen wir mit etwas ganz einfachem: Warum muss ich – als Mann – eine Krawatte umbinden, wenn ich ins Büro gehe? Im Jogginganzug wäre ich vielleicht produktiver. Aber Sakko und Krawatte erinnern mich daran, dass jetzt nicht Freizeit ist, sondern Dienst, und dass ich mich den Erfordernissen der Firma unterzuordnen habe und nicht meinen eigenen Bedürfnissen.
Was soll der Gruß „Heil Hitler“, wenn ich zum Greißler einkaufen gehe? Hitler wird davon nicht gesünder, dass ihm alle mehrmals täglich Heil wünschen. Das „Heil Hitler“ bei der Milchfrau, in der Werkstatt, im Büro, im Amt sowieso, soll mich täglich und stündlich daran erinnern, wer im Land das Sagen hat. Und es ist ein guter Anlass zur gegenseitigen Überwachung: Wer mit „Guten Tag“ grüßt, riskiert, vom Nachbarn angezeigt zu werden.
Welchen Sinn haben die komplizierten jüdischen Speisegesetze? Ihr gesundheitlicher Wert ist gleich null und sie machen der frommen Hausfrau das Leben schwer. Warum in aller Welt darf ich Milchiges und Fleischiges nicht gemeinsam verzehren, warum muss ich sogar getrenntes Geschirr für Milchiges und Fleischiges haben? Ein Rabbi hat diese Erklärung für die Speisevorschriften gegeben: „Sie erinnern uns täglich und stündlich daran, dass wir Juden sind“. So einfach ist es. Sie dienen dem Zusammenhalt der Gruppe nach innen und der Abgrenzung nach außen. Man könnte die Vorschrift in ihr Gegenteil verkehren: „Du sollst nie Milchiges ohne Fleischiges essen“, und sie würde denselben Zweck erfüllen.
Es macht natürlich einen wesentlichen Unterschied, ob solche irrationalen Vorschriften von Mitgliedern einer Gruppe freiwillig eingehalten werden oder ob sie mit Zwang und Terror durchgesetzt werden. Doch sowohl das freiwillige Einhalten von unsinnigen Vorschriften wie das gewaltsame Durchsetzen erfüllt jeweils einen rationalen Zweck.
Ob die Anführer der Dschihadisten Spiel und Vergnügen, Kunst und Sport wirklich hassen, wissen wir nicht. Vielleicht saufen und rauchen sie im Geheimen, spielen Poker, hören HipHop und schauen Pornofilme und Skirennen, so wie Stalin sich die verbotenen Hollywoodfilme im eigenen Filmpalast angesehen hat, so wie Mao mit seinen Gespielinnen den verbotenen Foxtrott getanzt hat. Es ist aber gar nicht wichtig. Um ihrer gewählten Rolle als die frömmsten und reinsten „Muslime“ gerecht zu werden, müssen sie gegen alles „Weltliche“ vorgehen. Und ihre Definition von dem, was „rein“ und „fromm“ ist, muss so eng sein, ihre Definition von dem, was „weltlich“ ist, muss so weit sein, dass praktisch jede und jeder eine „Ungläubige“, ein „Ungläubiger“ sein kann. So wie die Nazis sich ihre Definitionsmacht, welches die „minderwertigen“ Völker sind, die versklavt oder ausgerottet gehören, von der „Rassenlehre“ geholt haben. Und um diese Definitionsmacht, die Macht zu entscheiden, wer „ungläubig“ ist und deshalb bestraft, versklavt oder getötet werden muss, um die geht es. Damit geben sie sich die moralische Rechtfertigung für ihren Eroberungskrieg, damit erzwingen sie in ihrem Herrschaftsbereich Gehorsam und Disziplin, ohne die man einen Eroberungskrieg nicht führen kann.

25 minus 7

Facebooktwitterredditpinterestlinkedinmail„Nuria, wie rechnest du 25 minus 7?“
„Also, ich zerteile die Fünfundzwanzig in zwei Zehner und fünf. Die zwei Zehner laufen davon. Die Sieben stürzt sich auf die Fünf und frisst sie auf. Dabei schrumpft sie. Jetzt will sie nur noch zwei Zahlen fressen. Da kommen die zwei Zehner zurück, und sie frisst noch die Zwanzig und die Neunzehn. Also bleibt 18!“